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4.4 Die Besonderheiten des Cogito
Da Descartes das syllogistische Verfahren ablehnt und alleine aus der singulären Prämisse des "Ich denke" per conjunctio necessario zu der Konklusion "Ich existiere" gelangen will, muss diese Prämisse besonders stark sein.
Das hier formulierte Denken ist ein ungebundenes. Gemeint ist das Denken als geistige Tätigkeit jeder Art und nicht die zweckgebundene Überlegung "Ich denke an etwas". Der Ausdruck des nichtfokussierten Denkens macht deutlich, das der allgemeine Denkakt als kognitiver Akt gemeint ist. Eine Prämisse wie "Ich überlege" oder "Ich spüre" stützt die Konklusion ebensogut. Jede Formulierung eines kognitiven Aktes kann mit dem "Ich denke" vertauscht werden, das Argument bleibt dasselbe. Bedingung für die Prämisse ist, das sie explizit eine geistige Tätigkeit ausdrückt, was auch durch das lateinische Original deutlich wird. Das cogito setzt sich zusammen aus co- und agito, was wortwörtlich "eine Sache im Geist zusammenfassen" bedeutet. Als weitere Übersetzungsmöglichkeiten bietet das Wörterbuch (nach)denken, bedenken, erwägen, überlegen, bedacht sein, ausdenken, ersinnen, beabsichtigen, vorhaben und gesinnt sein.[37] Diese Formulierungen könnten alle mehr oder weniger problemlos in das Argument eingebaut werden.
Dabei sieht Descartes zwischen den Begriffen cogito und dubito (= zweifeln) so große Ähnlichkeiten, dass er sie stets in einem Atemzug nennt. Beide seien uns angeboren und somit klar und deutlich. Problematisch ist nicht der Übergang vom dubito zum cogito, den Descartes dadurch rechtfertigt, dass er dubitare für einen Modus von cogitare zählt, sondern der umgekehrte Weg. Formal logisch müsste aber in beide Richtungen geschlossen werden können.
Hartmut Brands versucht in seinem Buch "Cogito, ergo sum" den dadurch entstehenden Fehler durch die Schrittweise Analyse des Argument deutlich zu machen. Descartes geht vom 1. dubito zum 2. cogito und formt daraus das 3. Cogito, ergo sum, woraus er wiederum 4. sum res cogitans ableitet. Bis hierhin ist alles richtig. Nun wird er aber sagen: "Ich bin ein Ding, das denkt [=Bewusstsein hat], d.h. zweifelt, bejaht, verneint, einiges wenige erkennt, viele nicht weiß, will und nicht will, auch bildlich vorstellt und empfindet."[38]
Und hier leitet er einen falschen Schluß aus dem sum res cogitans ab. Einzig zulässig ist der Rückschluss auf die eigene Existenz. Nicht mehr und nicht weniger ergibt sich aus der Struktur des Arguments. Der erste Schritt des dubito ist richtig aus dem radikalen Zweifel abgeleitet und auch das cogito ist korrekt durch den ersten Schritt und der Definition von cogitare gebildet. Allerdings nur in die Richtung vom dubito zum cogito. Auch das Cogito, ergo sum ist logisch aus 2. und den gemachten Voraussetzungen geschlossen. Zu 4. gelangt Descartes richtigerweise aus 3. und seinen Vorstellungen von res extensa und res cogitans. Von hier aus allerdings auf das denkende Ding, welches zweifelt, bejaht etc zu schließen, ist schlicht falsch. Dann würde Descartes nämlich hypothetisch behaupten, dass alle modi des cogitare benutzt werden dürfen wenn nur ein bestimmter modus vorhanden ist.[39]
Desweiteren hat die Prämisse nur im Präsens und in der ersten Person Gültigkeit. Nur im Hier und Jetzt kann ich im Zweifel existieren. Durch die Annahme des Betrügergottes können alle Erinnerungen vorgetäuscht sein und über die Zukunft kann ich keine verifizierbare Aussage machen, da ich im nächsten Moment tot sein kann. Ich kann mir nur gewiß sein, dass ich denke. "Wie lange aber? Offenbar solange ich denke, denn es ist ja auch möglich, daß ich, wenn ich überhaupt nicht mehr denken würde, sogleich aufhörte zu sein."[40] Und diese Aussage kann ich auch nur über mich selber treffen. Für niemand anderes kann ich im radikalen Zweifel garantieren, dass es ihn gibt, geschweige denn, dass er denkt. Auch kann man nicht den eigenen Namen oder ein Merkmal der eigenen Person in die Prämisse einsetzen, können doch auch diese Täuschungen sein. Das einzige, was für die Formulierung taugt, ist der Ausdruck des "Ich". Also der Rückbezug auf denjenigen, der den kognitiven Akt vollbringt ohne ihn zu benennen oder an einem Merkmal ausmachen zu wollen. Für Dominik Perler liegt die Besonderheit der Prämisse demnach in ihrer Unbezweifelbarkeit, Selbst-Verifikation und Selbst-Evidenz.[41]
[37] Menge, Prof. Herrmann: Langenscheidts Taschenwörterbuch. Lateinisch.
36. Auflage. Berlin u.a. 1963. S. 105.
[38] Rene Descartes, Meditationes de Prima Philosophia. S. 99.
[39] Brands, Hartmut: Cogitoergo sum. Interpretationen von Kant bis Nietzsche. Freiburg i. Br.,
München 1982. S. 60 ff.
[40] Rene Descartes, Meditationes de Prima Philosophia. S. 83.
[41] Perler: Renè Descartes. S. 143.
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