Descartes

Descartes: Cogito, ergo sum.

von Simon Hollendung

7. Das Cogito ergo sum und die heutige Theologie

Zur Beurteilung des Cogito halte ich es für interessant, den Ursprung aus Sicht der heutigen theologischen Meinung kurz zu erläutern. Die Selbsterkenntnis folgt in der Theologie aus der Existenz Gottes und aus dem daraus resultierenden Glauben. Gott existiert, darum bin ich wäre das erste Prinzip, dass seine größte Ähnlichkeit mit dem Cogito durch einen Satz wie Credo ergo sum (Ich glaube, also bin ich) ausdrücken könnte. Die in dieser Hausarbeit ausgelassene Betrachtung des Gottesbeweises steht nicht im Widerspruch zum Vergleich des Cogito mit der heutigen Theologie. Ein Gottesbeweis ist immer etwas Philosophisches. Der Theologe kann man einer analytischen Ableitung, warum Gott existiert, nichts anfangen. Hier steht Wissenschaft gegen Theologie. Wobei letztere erst nach der Erkenntnis Gottes mit der Arbeit anfängt. Sonst wäre die griechische Wortbedeutung von Theologie als Rede, bzw. Lehre von Gott, unangebracht. (Siehe hierzu auch Punkt 2.1)

Dennoch, oder gerade deswegen, haben die Theologen zu allen Zeiten ein gesteigertes Interesse an Projekten wie das des Rene Descartes` gezeigt. Schon zu seinen Lebzeiten kritisierten sie, dass er sich mit dem Problem der Erschaffung der Seele hätte mehr auseinandersetzen müssen, ebenso wie mit ihrer Fortdauer nach dem Tod.[63] Daran lassen sich die unterschiedlichen Interresensfelder von Descartes` Philosophie und der Theologie gut erkennen. Ist es für jene, welche die Lehre von Gottes studieren, hauptsächlich von Interesse, dass Woher und Wohin zu untersuchen, so ist für Descartes vor allem das Wie entscheidend.

Zum Cogito selber gibt es in der theologischen Philosophie zwei Sichtweisen. Die erste geht vom ersten Prinzip als autonom gewordene Vernunft aus und weist darum verstärkt auf das Element der Negation hin. Der Negation der autonomen Vernunft wird vorgenworfen, keinen Bezugspunkt mehr zu haben. Ein Fixpunkt wie beispielsweise die Thesis in der Dialektik gibt es dann für die Negation nicht mehr. Als neue Bezugspunkte könnten sowohl das in den Wissenschaften hervorgebrachte Wissen im Sinne der Wissentschaftstheorie als auch das Wissen seiner Selbst als Selbstbewusstsein der Vernunft gelten. Im Cogito tritt letzteres hervor. "Die Reflexion der Prämisse wird zum Fundament der Reflexion des Seins. [...] Diese Denkfigur kehrt am reinsten, nun aber zum Fundament eines Systems der Vernunft entwickelt, in Fichtes >>Wissentschaftslehre<< wieder. In ihr gewinnt die Negation wirklichkeitskonstituiernde Bedeutung. Wirklichkeit (im Sinne von endlichem, erfahrbarem Realsein) kann nicht gedacht werden, wenn mit der Selbstsetzung des reinen Ich nicht eine Negation als Setzung eines Nicht-Ich gleichursprünglich ist, so daß Teilbarkeit (d.i. der ontologische Charakter, daß alles nur Teil ist) und Begrenzheit je schon mitgesetzt sind."[64]

Die zweite Sichtweise des Cogito spannt dieses in die Theologie ein. Da die Lehre vom "Bewußtsein [von] der Souveränität des konstruierenden Denkens", mit dem entsprechenden Leitsatz, dass "[d]as denkende Subjekt [.] von sich aus in Freiheit und aus eigenem Reichtum das neue Kultursystem auf[baut]"[65] nicht mit den Grundsätzen der Theologie vereinbahr ist, wird das Cogito integriert. Damit der Mensch eben nicht "nur in sich den unerschütterlichen Mittelpunkt aller Wirklichkeit und Wahrheit"[66] findet. Das "vom Ich aus erobern wir die Welt"[67] darf in der Theologie nicht gelten. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass es Descartes in den Meditationen "um den Nachweis [geht], daß die Gotteserkenntnis Grund aller anderen Begriffsbildung und daher auch aller anderen Erkenntnis sei."[68] Die Begründung dafür sehen die Theologen in den Meditationen. "Ich erkenne vielmehr ganz klar, daß die unendliche Substanz mehr Realität enthält als die endliche; daß mithin [...] die Vorstellung des Unendlichen der des Endlichen, d.h. die Vorstellung Gottes der des Ich vorausgeht."[69]

Für viele Vertreter der heutigen philosophischen Theologie wird die Begründungsfunktion des denkenden Ichs an dieser Stelle zu Gunsten eines höheren Erkenntnisgrundes aufgegeben. Die Meditationen wären demnach wieder nur "ein theozentrischer metaphysischer Traktat".[70]

[63] Nach: Röd, Wolfgang: Rene Descartes. S. 77.

[64] Artikel "Philosophie" von Herrmann Krings. In: Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe.

Hrsg. Peter Eicher, Bd. 3, München 1985. S. 356.

[65] Artikel von Max Frischeisen und Willy Moog. In: Grundriß der Philosophie III. Hrsg. F.

Ueberwegs. 12. Aufl., 1924. S. 220f.

[66] Ebd.

[67] Ebd.

[68] Pannenberg, Wolfhart: Theologie und Philosophie. Ihr Verhältnis im Lichte ihrer gemeinsamen

Geschichte. Göttingen 1996. S. 144.

[69] Rene Descartes, Meditationes de Prima Philosophia. Schmidt, Gerhart (Hrsg. und Übers.). S. 121f.

[70] Pannenberg, Wolfhart: Theologie und Philosophie. S. 144.
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