Descartes

Descartes: Cogito, ergo sum.

von Simon Hollendung

6. Das angeborene Wissen

Wie in Kapitel 5.5 beschrieben, bleibt eine Frage an das Cogito, ergo sum unbeantwortet. Es trifft vielleicht zu, dass sich der kognitive Akt immer auf jemanden bezieht, der ihn vollzieht und es ohne Handelnden gar keinen kognitiven Akt gibt. Trotzdem erschließt sich daraus nicht unmittelbar die Existenz des Denkenden. Verschiedene Ursachen können zu derselben Wirkung führen.

Den Fehler, der mit der Anwendung des Kausalprinzips auf das Cogito, ergo sum, entsteht, weist Descartes mit den angeborenen Ideen zurück. In den dritten Meditationen sagt er im § 7 in Bezug auf sämtliche Vorstellungen: "Von diesen [...] nun stellen sich mir die einen als angeboren, andere als von außen gekommen, wieder andere als von mir selbst gebildet dar. Wenn ich einsehe, was Ding, Wahrheit, Bewusstsein ist, kann ich dies wohl lediglich aus meiner eigenen Natur schöpfen."[60]

Descartes bedient sich der Ideen, um eine Verbindung zwischen den äußerlichen Dingen und dem Ich zu schaffen, ansonsten wäre das Ich in sich selbst gefangen. Die Ideen teilt er in eingeborene, in von außen erworbene und in die selbst gemachten Ideen ein. Die ein- bzw. angeborenen Ideen erhalten hierbei einen besonderen Stellenwert, weil sie nicht durch ihren Ursprungsort geklärt werden können. Diese Ideen werden auf Grund des metaphysischen Grundsatzes causa aequat effectum hergeleitet, der besagt, dass in der Ursache einer Sache mindestens genauso viel realitas (Sachgehalt) vorhanden sein muss, wie in seiner Wirkung. Es kann also in der Wirkung nichts vorkommen, was zuvor als Kraft in der Ursache war. In Bezug auf die angeborenen Ideen schlussfolgert Descartes, dass nichts Gehaltvolleres aus weniger Gehaltvollerem entstehen kann.

In den Erwiderungen der sechsten Einwände spricht Descartes davon, dass die innere Erkenntnis der reflexiven vorausgeht und dass diese Erkenntnis bezüglich des Denkens und der Existenz angeboren ist. Im kognitiven Akt wird dieses angeborene Wissen aktiviert und gleichzeitig impliziert, dass der Denkende existiert. Wenn der Denkende denkt, dann muss er existieren, weil nach Descartes jeder über ein angeborenes Wissen von Denken und Existenz verfügt.

Dominik Perler versucht die Aushebelung des Kausalprinzips anhand eines Beispiels zu erklären. Gäbe es kein angeborenes Wissen, dann würde das Cogito daran scheitern, dass die selbe Wirkung auf verschiedene Ursachen zurückzuführen ist, so wie man nicht behaupten kann, das es bestimmte Krankheiten ohne bestimmte Viren nicht geben würde (auch wenn dieser Virus unmittelbar zu dieser Krankheit führt). Es könnte also noch andere Wege geben. Deshalb zieht die Erkenntnis, dass man eine bestimmte Krankheit hat, nicht automatisch die Erkenntnis, dass man einen bestimmten Virus hat, nach sich. Das Krankheitsbeispiel wird nicht dadurch aufgelöst, dass der Mensch angeborenes Wissen hat, weil ihm kein medizinisches Wissen angeboren ist. Im Cogito dagegen geht es ja um den kognitiven Akt selber. Wenn ich also denke und dabei angeborenes Wissen aktiviere, kann die einzig logische Schlussfolgerung nur sein, dass ich existiere. Bestandteil dieser Argumentation ist die Selbst-Evidenz des "Ich denke" im Cogito. Damit setzt Descartes das Kausalprinzip wieder ein. Woraus folgt, dass durch den radikalen Zweifel nicht alles bezweifelt wird. Das angeborene Wissen kann nicht bezweifelt werden, also ist der Betrügergott auch nicht fähig, es zu manipulieren.[61]

Es ergibt sich die Frage, wie weit diese angeborenen Ideen reichen. Die Antwort gibt Descartes nicht expliziert und doch erschließt sich folgendes aus seinem Werk: Die Existens aller angeborenen Ideen begründet sich auf die res cogitans. Die physischen Objekte unterstützen nur die Bildung der Idee. Die so gebildeten Ideen machen die Sinneswahrnehmungen aus. So achten wir beispielsweise auf die uns angeborene Idee Gottes nicht immer durch dieses angeborene Wissen selber, sondern in dem uns die Tradition dazu veranlasst. Die Realität der Körperwelt wirkt durch die vermittelten Ideen der Sinneswahrnehmung. Wichtig ist die formale Bestimmung dieser Ideen.[62]

In Zusammenhang mit Descartes Konstruktion des angeborenen Wissens verweisen viele Autoren auf den platonischen Hintergrund dieser Idee. Gerade die Tatsache, dass das angeborene Wissen immer als Potenzial in der Seele vorhanden ist, erinnert an den griechischen Denker. Descartes bedient sich dieser Denkweise, Innatismus genannt, um Erkenntnisfähigkeit a priori begreifbar zu machen.

[60] Aus: Rene Descartes, Meditationes de Prima Philosophia. Schmidt, Gerhart (Hrsg. und Übers.).

Lateinisch/ Deutsch. Reclam. Stuttgart 1986. S. 105.

[61] Perler, Dominik: Renè Descartes. Beck`sche Reihe. Denker. München 1998. S. 146 f.

[62] Keussen, Rudolf: Bewusstsein und Erkenntnis bei Descartes. Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte. Heft 22. Hildesheim, New York 1980.
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